„Die Zwangsentschleierung ist auch ein Zwang.“

Emanzipiert sein und ein Kopftuch tragen: Geht das zusammen? Ja, sagt Shafkat Khan (38). Sie meint: Gerade dann, wenn man heute ein Kopftuch trägt, braucht man Selbstbewusstsein. Anlässlich des Tages der Offenen Moschee traf ich sie in der Bait-un-Nasr-Moschee in Köln-Niehl.

Frau Khan, woran glauben Sie?

Ich glaube an Gott und daran, dass er lebendig ist! So habe ich es von meinen Eltern gelernt, und so erlebe ich es auch selbst. Gott zeigt sich zum Beispiel durch Träume und Visionen, oder wenn man um Dinge betet, die unmöglich erscheinen – und plötzlich spürt im Gebet eine ganz tiefe Energie. Diese Beziehung zu Gott finde ich wichtig. Ohne sie ist der Glaube hohl.

Wie ist der Gott, an den Sie glauben?

Ich assoziiere mit Gott das Positive und empfinde ihn als Beschützer. Im Islam gibt es für Gott 99 Namen: Der Gnädige, der Heilige, der Allmächtige, der Barmherzige – und viele andere mehr.

Gab es auch Momente, in denen Sie an Ihrem Glauben gezweifelt haben?

Nein, das gab es nie. Darüber habe ich selbst oft nachgedacht. Insbesondere in der Jugend sucht man ja Antworten, und man fragt sich normalerweise: Glaube ich das nur, weil meine Eltern es mir vorleben? Aber bei mir war das nicht so. Die Frage hat sich einfach nie gestellt. Wahrscheinlich deswegen, weil ich meine Eltern immer als völlig authentisch und glaubwürdig erlebt habe.

Ich denke, in diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass kritische Fragen bei uns immer erlaubt waren. Wenn der Glaube stark genug ist, braucht man keine Angst zu haben, auf Fragen keine Antworten zu wissen.

Sie sind in Köln aufgewachsen. Haben Sie hier Situationen erlebt, in denen Sie sich als Muslima diskriminiert gefühlt haben?

Ja. Das war 1993, ich war damals in der neunten Klasse und suchte einen Platz für ein Praktikum. Ich habe mich wirklich dafür abgerackert! In einer Apotheke hatte ich dann zunächst Glück. Alles war schon besprochen und der Vertrag unterschrieben. Dann sagte der Apotheker ganz nebenbei, mit Blick auf mein Kopftuch: ‚Sie wissen ja, dass Sie so nicht zum Arbeitsplatzkommen können.‘ Ich war wütend! Vor allem, weil er das als so selbstverständlich voraussetzte und es vorher gar nicht angesprochen hatte. Ich sagte ihm: ‚Aber das hätten Sie doch von Anfang an sagen können!‘ Er ging gar nicht darauf ein, sondern hielt dann nur mit spitzen Fingern den Vertrag in die Luft und fragte: ‚Soll ich den dann jetzt zerreißen?‘ Schon damals hat mich geärgert, wie viel Druck auf Mädchen mit Kopftuch aufgebaut wird. Ich ließ ihn denVertrag zerreißen.

Wollten Ihre Eltern, dass Sie das Kopftuch tragen?

Meine Eltern haben mir die Entscheidung überlassen, so wie ich meiner Tochter die Entscheidung überlassen habe. Ich trage ein Kopftuch, weil ich es richtig finde. Das war auch in der Schulzeit schon so. Aber es braucht ganz schön viel Mut dafür.

Manche sehen das Kopftuch ein Zeichen von Unterdrückung. Wie beurteilen Sie das?

Es gibt Länder, in denen Frauen unterdrückt werden. Diese Länder missbrauchen den Namen des Islam. Dafür können wir nicht verantwortlich gemacht werden! In unserem Glauben sind Männer und Frauen gleichwertig.

Ich denke: So, wie der Islam für politische Zwecke instrumentalisiert wird, so wird auch in rechten Kreisen der westlichen Gesellschaft die Angst vor dem Islam instrumentalisiert. Zwangsentschleierung ist auch ein Zwang.

Wie denken Sie, als eine Muslima, die Kopftuch trägt, über den Feminismus?

Es gibt nicht den einen Feminismus. Wir Frauen müssen lernen, nicht über andere Frauen zu urteilen. Sonst läuft man Gefahr, die eigenen Anliegen auf andere zu projizieren. Jede Frau sollte selbst ihren eigenen Weg gehen können. Die Zwangsentschleierung entspringt dem Helfersyndrom, und sie passt für viele nicht.

Ich fühle mich als Frau emanzipiert. In unserer Gemeinde gestalten wir in der Lajina Imaillah, der Organisation für Frauen, vieles mit. Aber auch außerhalb der Gemeinde können wir uns entwickeln, studieren, uns entfalten und ein selbstbewusster Teil der Gesellschaft sein.

Dass Frauen und Männer gleichwertig sind, bedeutet nicht, dass sie gleich sind. Frauen sind anders als Männer, und das brauchen sie nicht zu verstecken!

Was, glauben Sie, passiert nach dem Tod? Haben Sie Angst davor?

Angst habe ich nicht, denn der Islam glaubt nicht an ewige Strafen. Irgendwann kommt jeder ins Paradies! Natürlich hoffe ich, dass ich die Lebensprüfungen gut bestanden habe, wenn es so weit ist. Zudem ist die Erde zwar eine Reise, aber sie ist auch Zuhause. Es ist schön auf der Welt! Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich wünsche mir, noch Zeit zu haben, um zum Beispiel meine Verantwortungen gegenüber meinen Kindern erfüllen zu können.

Suchen Sie den Austausch mit anderen Religionen in Köln?

Ja. Wir haben zum Beispiel schon mit einer Gruppe von Frauen aus unserer Gemeinde eine evangelische Gemeinde in Köln-Merheim besucht. Nach dem Tod der Leiterin meines früheren Gymnasiums gab es eine christliche Trauerfeier, an der habe ich auch teilgenommen. Ich habe dort meine eigenen Gebete gesprochen. Manche waren überrascht, aber warum denn nicht? Ich habe dort eben meine Gebete gesprochen.

Alle Religionen dienen dem Ziele, dass ethische Normen und Werte sich in einer Gesellschaft verbreiten. Dabei gibt es ja auch durchaus Übereinstimmungen: zum Beispiel die Gebote von Barmherzigkeit, Nächstenliebe, und dass man sich selbst zurückstellen soll.

Vielen Dank für das Interview!

Shafkat Khan gehört der muslimischenGemeinde Ahmaddiya Muslim Jamaat (AMJ) an. Die AMJ ist eine heuteweltweit verbreitete islamische Reformbewegung, deren Ursprung inIndien liegt. Sie geht zurück auf Mirza Ghulam Ahmad (1835 -1908), der seinen Anhängern als von Gott gesandter Mahdi (NachfolgerMohammeds) entgegentrat.

Über die Ahmaddiya Muslim Jamaat

Ahmad berief sich darauf,Gotteserscheinungen gehabt zu haben. Er vertrat die Ansicht, dass derIslam durch Missverständnisse und Fehlinterpretationen von vielenMoslems nicht mehr in seiner wahren Fassung gelebt und verstandenwürde. Seine Schriften und Predigten hatten das Ziel, den Islam zuseinem Ursprung, einer Religion des Friedens, zurückzuführen. DieAhmaddiya-Muslime distanzieren sich deutlich vom bewaffnetenDschihad. Ihrer Auffassung nach ist der eigentliche, große Dschihaddas tägliche Ringen mit sich selbst, um ein aufrechtes Leben zuführen.

In vielen muslimisch geprägten Ländern wird die AMJ aufgrund ihrer reformierten Auslegung des Islam verfolgt. So auch in Pakistan, von wo die Familie Khan vor fast 40 Jahren nach Köln kam, um ihren Glauben sicher und frei ausleben zu können. Shafkat Khan ist Mutter von drei Kindern und engagiert sich in der Frauenorganisation ihrer Gemeinde, unter anderem als eine von mehreren Moderatorinnen der Online-TV-Sendung „Im Fokus der Muslima“.